Argentinien – Cordoba goes circular

Zero-Waste City – das Konzept ist längst auch im Globalen Süden angekommen. So auch in der Stadt Cordoba, die Hauptstadt der gleichnamigen Region Cordoba in Argentinien. Sie hat sich aufgemacht, die Circular Economy zu implementieren. Schon zum zweiten Mal wurde dort ein internationaler Kongress Cumbre Mundial de Economia Circular durchgeführt, der auch der Öffentlichkeit zeigen soll, was sich hinter dem Begriff der Circular Economy verbirgt. Das ist ein großartiger Ansatz, er hat auch die nötige öffentliche Resonanz erhalten, denn der Aufbruch geht voran: Neben einem Unternehmenscluster, einer Internetplattform, Lernformaten und Hochschulkooperationen ist jeder in der Stadt aufgefordert, seinen Beitrag zu leisten. Und das wird auch auf einer kleinen Messe gezeigt, die sehr an Deutsche Formate von Öko-Messen erinnert. Neben einem großen Hauptpodium mit international bekannten Referent*innen finden sich auch kleine Bühnen, auf denen die Unternehmen vortragen, die längst in die Umsetzung der Circular Economy eingestiegen sind: Solar-Tech-Unternehmen, eine Fahrzeugschau mit Autos und eine Halle, in der wir allen Formen von Zweirädern – mit und ohne Elektromotor – begegnen. In einer weiteren Halle treffen wir auf jede Menge Öko-Produkte, angefangen von effizienten Mikroorganismen zur Bodensanierung bis zum Kunststoffrecycler. Das Einzige was wir nicht finden, ist ein Hinweis auf eine Road-Map oder eine Strategie zur Umsetzung der Circular Economy.

Bürgermeister Martin Llaryola und Eveline Lemke während des Singens der argentinischen Nationalhymne

Weil der Aufbruch in die Circular Economy eine Chance erhalten soll, sich hier nachhaltig zu etablieren, wurden Peter Heck und ich von der Stadt Cordoba eingeladen. Ich war seit Jahren regelmäßig in Argentinien und deshalb gibt mir die Stadt Cordoba Hoffnung, denn die Frage, ob der Aufbruch tragen wird und politische Durchsetzungskraft hat, kommt sofort auf. Mit den Verantwortlichen wartet auch Carlos Villar von HINS Energia auf uns. Er ist einer der maßgeblichen Treiber im Solarbusiness vor Ort. Und er ist ein alter Bekannter, kennt den Umweltcampus und Rheinland-Pfalz. Er ist der beharrliche Kämpfer vor Ort, der das Thema Circular Economy dauerhaft verankern will und weiß, welche politischen Kräfte vor Ort wirken. Carlos Villar gehört zu denen, die den Raum für Gestaltung von Zukunft schaffen.

Und so treten wir eine Reise an, die gleich zu Beginn diese schwierigen Fragen aufwirft: Ist es legitim, den Ländern im Globalen Süden Hilfe anzubieten? Oder ist die Hilfe schnell falsch verstanden, weil die industrielle Ausbeutung, die als wirtschaftliches Modell des Globalen Norden seit der Kolonialisierung gerade den Klimaschaden versursacht, den wir heute wieder gut machen wollen? Für uns ist es weder die Rolle des Helfenden noch die alte Idee von Industrie, die uns herführt. Aber der Herausforderung THE BEST OF TWO WORLDS zu leben, der wollen wir hier nachkommen.

Und dann ist da noch die Frage, ob die Circular Economy die bessere Wirtschaft ist? Wir sind überzeugt, dass es so ist. Aber die Circular Economy hat auch ihre Tücken und verlangt ein gutes Verständnis, um alte Rebound-Fehler nicht zu wiederholen. Die Circular Economy besteht längst nicht nur aus Abfallbeseitigung und der Schließung von offenen Deponien. Denn so wird sie hier oft präsentiert, schließlich fallen die Deponien hier auch ins Auge. Hunderte von offenen Deponien vermüllen die Landschaft und bilden Umweltgefahren ab.

Eveline Lemke auf der Bühne Minister Fabián Lopez und Prof. Dr. Peter Heck

Das am natürlichen Design des Planeten orientiertes Konzept der Circular Economy, bei dem es nicht im Wesentlichen um das Geldverdienen durch Recycling geht, wird nicht immer vollständig verstanden oder gar übersetzt. Und es hat so viele Facetten, dass eine Vermittlung innerhalb von nur zwei Tagen in einem südamerikanischen Land ohnehin undenkbar scheint.

Calamuchita Argentina

Schon beim Flug über das Land von Buenos Aires, der 17 Mio. Metropole und Hauptstadt, in der fast ein Drittel der argentinischen Bevölkerung leben, zeigt, wie es um das Verständnis der Zirkularität bestellt ist. Aus der Luft erkennen wir deutlich die Parzellen der Ackerflächen. Sie sind auf große Flächen aufgeteilt, die intensiv industriell genutzt werden. Kühe und Rinder stehen hier auch schon im Stall und laufen nicht frei herum, wie man sich das gerne verklärt vorstellt. Kaum Bäume stehen zwischen den riesigen Feldern, keine Hecken, keine Randstreifen. Nach Biodiversität sieht hier schon mal gar nichts aus. Welche Kooperation gibt es zur Entwicklung der biologischen Landwirtschaft? Vielleicht wird die Trockenheit der letzten Jahre das Thema bewegen. Landesplanung oder Strategien zur Wasserrückhaltung gibt es auch nicht, auch wenn hier alle Dächer mit Wasserbehältern ausgestattet sind, welche die Warmwasserbereitung mit thermischer Energie übernehmen. Landesplanung ist hier kein politisches Instrument, ebenso ist der Biolandbau nicht verankert oder die Biomassenutzung für den lokalen Energieverbrauch ein Konzept.

Wo können wir also beginnen? Peter Heck kann hier Wissenschaftskooperationen schmieden, damit sich das Fundament an Wissen verbreitern kann und die Kooperationen zwischen Argentinien und Deutschland auch politische Wechsel überstehen können. Die Initiativen des IFAS (Link?) haben bewirkt, dass chinesische, japanische, mexikanische, brasilianische und hoffentlich bald auch argentinische Universitäten zusammen an den gleichen Themen arbeiten, die vor Ort dann doch individuell unterschiedlich gelöst werden. Seine jährliche Internationale Circular Economy Week ist ein seit über einem Jahrzehnt bestehendes Format, welches sich den Herausforderungen widmet, Projekte in die Anwendung zu bringen. Warum nicht Minister Fabian Lopez und eine Delegation einladen? Gemacht – getan.

Diskussion mit Eveline Lemke, Minster Fabián López und Prof. Dr. Peter Heck

Aber auch in Cordoba ist Fortschritt, auch hier gibt es Vordenker*innen und Netzwerker*innen, die das Thema durchdrungen haben. Sie wollen es gerne in einer Weise vermitteln, in der es den Ansprüchen an eine echte grüne Entwicklung auch gerecht wird. Und sie wollen sich vernetzen und loslegen. Die Aufbruchstimmung gerade nach den Corona-Lockdowns ist unübersehbar.

Wir fragen uns schon auf der Anreise, wie wir vermitteln, dass alte Politikinstrumente, die hier gerne verwendet werden und keinen Wandel herbeiführen, abgelöst werden können. So ist Argentinien immer noch Eigentümer von eigenen Öl- und Gasvorkommen und subventioniert diese noch immer reichlich. Divestment als Strategie und ein Umgang mit den potentiellen Verlierern der Transformation? Ist das auf der Agenda? Wie wir bei unserer ersten Station der Reise in Buenos Aires vom stellvertretenden Umweltminister Sergio Federovsky, erfahren, ist das kein Thema, was diskutiert wird. Kreislaufwirtschaft wird von der Nationalregierung im Wesentlichen mit dem Schließen von wilden Deponien und Deponienachsorge in Verbindung gebracht. Recycling gibt es nur vereinzelt, der Zirkularitätsfaktor für Argentinien oder seine Regionen ist unbekannt. Zudem werden Projekte allzu oft mit Steuermitteln entwickelt und sie sterben immer dann, wenn ein Regierungswechsel ansteht und sie nicht wirtschaftlich durchdacht waren. Und dann fehlt es auch noch an einer Strategie oder Roadmap. Werden wir darüber sprechen können, dass die Circular Economy eigentlich ohne staatliche Unterstützung auskommen sollte und wie die Transformation für Politikinstrumente aussehen könnte? Mit dem stellvertretenden Umweltminister gelingt es jedenfalls nicht, denn in 1,5 Jahren sind Wahlen und da wird das Thema Circular Economy nicht in den Mittelpunkt gerückt werden.

Das ist in Cordoba gänzlich anders und gibt Hoffnung, dass auf lokaler Ebene viel möglich ist. Die Veranstaltung in Cordoba wurde medial mit den nationalen Größen der TV-Moderation besetzt, nationale Medienvertreter*innen waren vertreten und sie haben auch ein riesiges Coverage ermöglicht. Und das ist auch wichtig, denn die Projekte der Transformation sind in Argentinien noch fast unsichtbar.

Wer über das Land fliegt, sieht weder Windkraftanlagen noch schimmernde Solardächer, dabei gibt das Land alles her, was es für eine florierende Bioökonomie bräuchte: Wasser aus den Anden, das in Cordoba für kleinstes Geld aus den Leitungen fließt; Biomasse auf reichen Felder – die Frage drängt sich auf, wie sich hier das ganze Potential der Circular Economy entfalten kann.

Dabei täte es dringend Not, denn Armut und Inflation sind für Argentinien seit Jahren massive Herausforderungen, zu denen sich jetzt die Aufgaben zum Klimaschutz und der Anpassung an die Klimaveränderung gesellen.

Anlässlich der 2. Internationalen CUMBRE MUDIAL zur Circular Economy in Cordoba durfte ich erleben, mit welcher Impluskraft hier das Thema angegangen wird. Sicher, es steht bald wieder ein Landtagswahlkampf vor der Tür. So erleben wir, wie sich die Parteien positionieren auch über einen Streit, der das große Gefälle der Gesellschaft abbildet: Die Papelleros, eine Gruppe von Genossenschaften, welche Altpapier sammeln und dafür von der Nationalregierung subventioniert werden, wollen eingelassen werden. Für sie gibt es auf der Messe keinen Platz. Aus europäischer Sicht ist das schwer verständlich. Und warum müssen ausgerechnet die Stakeholder vor der Tür bleiben, die tatsächlich den Müll in ihre Hände nehmen? Zudem: Kreislaufwirtschaft soll doch auch soziale Konflikte lösen und kann es auch, u. a. durch die Einbindung der lokalen Akteure in die neuen Wertschöpfungsketten.

Aber hier ticken die Uhren anders und es bleibt uns nur, diese Dinge zu erfassen, zu sehen, wie sich politischer Streit über soziale Minderheiten darstellt. Politische und unsichtbare Regeln offenbaren sich nicht leicht und auch nicht sofort.

Minister Fabián López und Carlos Villar, Hins Energia

Deshalb wollen wir bei dem kurzen Besuch einfach konkret bleiben. Dazu bietet sich das Gespräch mit dem Minister Fabian Lopez und seinem Staatssekretär Sergio Mansur an, die für staatliche Dienste zuständig sind. So beauftragt das Ministerium auch Infrastruktur, z. B. für die Abwasserbeseitigung, die ein gutes Beispiel für die Circular Economy ist. Das Gespräch ist fruchtbar, wir können konkrete Vorhaben diskutieren und ein gemeinsames Verständnis für die Circular Economy erlangen. Es ist also naheliegend, gleich den nächsten Besuch für eine Delegation von Personen aus Cordoba zu planen, um an der Internationalen Circular Economy Week in Birkenfeld teilnehmen zu können und die wissenschaftlichen Verbindungen zu stärken.

Konkret wird es auch zum Abschluss unserer Termine. Wir besichtigen eine Schule für die Circular Economy, in der Schüler*innen und Studierende lernen, wie Mülltrennung funktioniert und dass Material wieder verwendet werden kann. Das Training soll lokalen Genossenschaften helfen, eigene Sammelstrukturen aufzubauen und kleine Sammel- und Recyclingstrukturen zu etablieren. Traditionell gibt es derartige Strukturen längst, jedoch haben diese keine Kooperationen zur Anlieferung ihres Materials mit Abnehmern vertraglich festgelegt. Hier kann und muss nachgearbeitet werden. Zudem braucht es an diesen Orten des Lernens, ein Verständnis für das Prinzip von Cradle-to-Cradle. Ansonsten ist die Falle des Downcyclings auch hier vorprogrammiert, schafft Frustration und mindert das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit. Gut gedacht ist eben nicht immer auch gut gemacht. Aber bekanntlich dienen Schulen zum Lernen, ein RETHINK muss auch hier erlaubt bleiben, der Ort, an dem das passieren soll, wurde genau dafür schon geschaffen, was eine gute Voraussetzung ist.

Am Ende der Reise steht fest: Wenn unsere argentinischen Freunde das Beste aus den zwei Welten für ihre ZERO WASTE Strategie nutzen wollen, dann sind wir gerne für sie da und begrüßen sie auch gerne in Rheinland-Pfalz.

Sie finden das Video der Veranstaltung, mit meiner Rede, hier.

Die Berichterstattung in der nationalen Presse (in Spanisch)::

Perfil: „The role of citizens is key to the future of the Cricular Economy“

Alfil: Second World Summit on the Circular Economy opens

Página 12: Martín Llaryora „The societies that first adapt to the changes of the new circular paradigm will create progress“.

LaVoz: The second edition of the Circular Economy Summit has started live

El Diario: IN CORDOBA – THE WORLD Circular Economy Summit

El Economista: The World Summit of the Circular Economy comes to Cordoba

La Nacion: Circular Economy – what it is and how to apply this model in everyday life.

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