Wirtschaft zwischen Moral und Interessen

Stell Dir vor, Du bist auf der Reise in die Zukunft. Und aktuell siehst Du nicht mehr als die Straße, auf der Du Dich bewegst und die Leitplanken links und rechts Deines Weges. Du kannst auch hinter Dich schauen und sehen, wie der Weg aussieht, den Du bereits hinter Dir gelassen hast. Wie geht es Dir damit?

Menschen, die gerne in Skandinavien oder Canada, vielleicht auch auf der Route 66 durch Amerika unterwegs waren, können sich das gut vorstellen. Sie folgen einer Idee, eine Reise voller Abenteuer zu erleben, gleichzeitig Freiheit in Entscheidungen zu haben. Wem würde das nicht gefallen. Das Mindset vieler Start-Up Projektteilnehmer*innen lässt sich gut mit dieser Metapher umschreiben. Attribute wie Risiko und Gefahr kommen in dieser Abenteuerillusion weniger vor. Dennoch sind ausgerechnet Abschätzungen von Gefahren die Essenz einer guten Reisevorbereitung. Das gilt aber auch für jede Reise in ein Innovationsprojekt, insbesondere wenn sie zirkulär sind.

Das Kompetenzzentrum der Kreativwirtschaft des Bundes in Berlin hat unter mehr als 100 Bewerbungen 5 Risky-Projects identifiziert. Sie hatten in den letzten Monaten die Gelegenheit, ihr Prototyping und die Herausforderungen in begleiteter Form weiterzuentwickeln. Im Impact Hub in Berlin Neu-Kölln haben wir uns zu ihrem Schulterblick getroffen. Denn als Jury-Mitglied war ich auch gebeten, den Zukunftsunternehmer*innen Impulse für ihre weitere Arbeit mitzugeben und aufzuzeigen, wie sie Risiken vermeiden und Chancen ergreifen können, so dass ihre Reise in die Zukunft sicher ist.

Die Risky-Projects findet Ihr hier.

Komplexität ist eine Herausforderung

Akteure, die sich aufmachen Projekte in einer Wirtschaft von Kreisläufen zu kreieren, gehen längere Wege als es die einfache Erfindung linearer Produkte erfordert. Schließlich ist das Hineinorganisieren externer Effekte keine triviale sondern vor allem eine komplexe Angelegenheit. Darauf möchte ich etwas eingehen, denn es gilt in dieser agilen Welt, die Orientierung zu behalten, sonst wird es mit der oben beschrieben Reise nichts.

Zuerst also ein paar Worte zur Komplexität, auf die wir nicht trainiert sind und uns dennoch alle Eigenschaften von Natur aus mitgegeben sind, um mit ihr umzugehen. Die Komplexität ist allein aufgrund der Vielfältigkeit von Material, Flüssigkeiten oder Gasen, die in unseren Wirtschaftskreisläufen zugelassen und in der Wertschöpfung miteinander verbunden werden, riesig. Über 2000 Stoffe sind in der Europäischen Chemikalienzulassungsstelle REACH registriert, jeder dieser Stoffe kann mit anderen kombiniert ein Produkt ergeben.

Die Komplexität wird zudem durch Interessen ergänzt. Und die Interessen im Sinne der Nachhaltigkeit sind auch vielfältig. Alleine 17 Nachhaltigkeitsziele geben uns eine Interessensagenda, die zu berücksichtigen ist und die bereits rund 2.400 KPIs (Key Progress Indicators) aufzeigt. Und jeder dieser Indikatoren kann theoretisch durch eine Aktivität gefährdet werden.

Wie können Akteure hier überhaupt die Orientierung behalten?

Mein Tipp: Bleibt bei der Metapher der Reise auf der Straße

Die linke Seite der Leitplanken ist das moralische Feld der Circular Economy, welches aus seinen Prinzipien und Strategien besteht. Dazu zählen das Cradle-to-Cradle Prinzip, die RE-Strategien (Reuse, Refurbish, Repair, Recycle), das RESOLVE-Prinzip (RE-Strategien + Solve + Optimise (Effectiveness) + Close the Loop + Virtualize + Exchange).

Auf der rechten Seite der Leitplanken stehen die 17 Nachhaltigkeitsziele und ihre 2.400 KPIs, wie sie nach dem ESRS (Environmental Social Regulation Standards) der EU Kommission im Oktober 2023 beschlossen wurden.

Die Schnittmenge, gewissermaßen die zu identifizierende Synergie ist der Impact, den ein Risky-Project für sich definiert. Dies besteht aus dem beschriebenen Problem und der Lösung dafür. Die Abgrenzung zu Moral und Interessen ist und bleibt bei jedem Projekt die Definition, welchen Preis das eigene Handeln bedeutet. Es gibt kein Projekt ohne Umweltwirkung. Alles entfaltet Wirkung. Im Kern soll jedoch eine negative Wirkung verhindert und bestehende negative Eigenschaften vermindert werden, im besten Falle eine positive Wirkung entfalten. Das ist Entscheidungssache. Die Entscheidung treffen die Projektteilnehmenden und Investoren selbst. Dass es möglich ist, sich für einen Weg mit negativen Umweltwirkungen zu entscheiden, weiß jeder. Wie kann da ein Kurs der Nachhaltigkeit beibehalten werden?

Meine Fragen an die Innovatoren und Ihre Begleiter*innen zielen deshalb immer auf zwei Schwerpunkte ab, mit denen sie diese Frage selbst beantworten können:

  1. Sind Risiken hinreichend erkannt? Gab es einen ausreichenden Scan aus Perspektive der Stakeholder der gesamten Wertschöpfungskette, um Interessen des Wettbewerbs, etablierter linearer Mitspieler*innen im Markt, der Politik oder der Wissenschaft zu erkennen?
  2. Welche wesentlichen Barrieren gibt es, die überwunden werden müssen?

Die Antworten auf diese Fragen sind die Navigation auf der Straße in eine zirkuläre Zukunft.

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